Wie sieht Ernährung und Landwirtschaft der Zukunft aus?
Referentin und Autorin Dr. Friederike Schmitz war am 14.05.2024 zu Gast in der Katholischen Bildungsstätte Osnabrück und hat uns Einblick in dieses komplexe Thema gegeben und sich im Anschluss allen kritischen Fragen gestellt. In ihrem aktuellen Buch “Anders satt: Wie der Ausstieg aus der Tierindustrie gelingt” beschäftigt sie sich nicht nur mit eine klimagerechten Transformation von Landwirtschaft und Ernährung, sondern durchleuchtet auch die dabei entstehenden ethischen und politischen Aspekte der Mensch-Tier-Beziehung. Laut Friederike Schmitz muss die aktuelle Lebensmittelproduktion unbedingt reformiert werden, da die vorhandenen Nahrungsmittel auf globaler Ebene ungleich verteilt werden, die Massentierhaltung die Klimakrise verstärkt und die Tiere in dieser Industrie ein äußerst qualvolles Leben führen.
Zunächst nimmt die Landwirtschaft 46% der bewohnbaren Erdoberfläche ein und hat somit zwangsläufig einen großen Einfluss auf Klima und Artenvielfalt. Den Hauptanteil der vorhandenen Ressourcen verbrauche die Tierindustrie (Massentierhaltung). Sie tötet jährlich über 75 Milliarden Landtiere. Einzelne Meerestiere können in dieser Rechnung nicht mitgezählt werden, da sie nur in “Tonnen” gemessen werden. Dies führt dazu, dass die Masse an wild lebenden Säugetieren seit dem Jahr 1900 von 94% (6% Mensch und seine “Nutztiere”) auf 6% (36% Menschen; 58% “Nutztiere”) geschrumpft ist. Dies liege nicht unbedingt daran, dass die wildlebenden Tiere mehr geworden sind, sondern die “Nutztiere” so viele. Auch bei den Klimaemissionen ist die Tierindustrie mit einem Anteil von ein Drittel der gesamten von Menschen verbrauchten Emissionen der Haupttreiber. Friederike Schmitz verdeutlicht, dass eine pflanzenbasierte Ernährung der zentrale Schlüssel ist, um Klimaemissionen und Artenverlust zu verringern sowie Gesundheit und globale Gerechtigkeit voranzubringen. Durch eine pflanzenbasierte Ernährung können globale Ressourcen geschont bzw. effektiver genutzt werden, da die Tierindustrie, die 77% der landwirtschaftlichen Fläche nutzt, aber nur 18% der Kalorien und 37% der Proteine produziert. Tierische Produkte verbrauchen nicht nur bei der Produktion viele Treibhausgase, sondern würden auch das Potential von frei werdenden Flächen, die zur Renaturierung und Einlagerung von Kohlenstoff genutzt werden können, verschenken. Würden alle Menschen vegan werden, sinken laut Studien die globalen Klimaemissionen um 28%. Ebenfalls würde, laut DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.), eine Reduktion von 1 kg Fleisch auf maximal 300 g Fleisch pro Woche förderlich für die Gesundheit sein.
Und was ist mit den ethischen Aspekten der Massentierhaltung? Die sogenannten “Nutztiere” haben vielfältige Bedürfnisse, die nie ausgelebt werden, oder komplexe soziale Strukturen, die nie aufgebaut werden können. Laut “Vorschrift für Nutztierhaltung” muss ein Schwein (bis 110 kg) mindestens 0,75 m² Platz im Stall haben. Dies bedeutet plakativ, dass 16 Schweine auf einem Autoparkplatz (12 m²) gehalten werden dürfen. Alle “Nutztiere” werden so gezüchtet, dass sie wirtschaftlich möglichst profitabel sind. So brechen sich, laut aktuellen Studien, 97% aller eierlegenden Hühner sich mindestens einmal im Leben ihr Brustbein, weil sie so gezüchtet werden, dass sie einen möglichst kleinen Körper haben und möglichst große Eier legen (unabhängig der Haltungsform).
Verstößt die Massentierhaltung nicht gegen Grundprinzipien unserer Gesellschaft? Laut Tierschutzgesetz darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen oder Schaden zufügen und muss es bedarfsgerecht ernähren und unterbringen. Dieser moralische Konsens steht im Widerspruch zur realen Tierhaltung. Nicht der Einzelne, sondern das System sei das Problem. Ein Bauer könne seinen Schweinen nicht so einfach mehr Platz geben und dabei gleichzeitig genauso wirtschaftlich sein.
Aber wie kann die Nahrungsmittelproduktion transformiert werden? Regionale Produkte bringen für das Klima eher wenig, da Tierfutter und Produktion einen wesentlich größeren Einfluss als der Transport haben. Mehr Tierwohl bringt für das “Nutztier” auch eher wenig, da sich im besten Fallen nicht mehr 16 Schweine (Stallhaltung) sondern 8 Schweine (Auslauf- und Weidehaltung) einen Parkplatz teilen. Wobei hier Stress durch Schlachtung, Züchtung und Krankheiten nicht eingerechnet sind. Bei Bio-Produkten verhält es sich ähnlich zur Auslauf- und Weidehaltung und ist in keinem Falle besser fürs Tier und auch nicht fürs Klima.
Oft würden auch Argumente für Tierhaltung genannt, die so nicht stimmen, wie z. B. dass wir “Nutztiere” zur Produktion von Dünger, Verwertung von Reststoffen oder die Artenvielfalt im Grünland brauchen. Zum einen produzieren Tiere den für Pflanzen notwendigen Stickstoff nicht selbst. Der Stickstoff könne auch direkt durch Kompostierung des Futtermittels oder der anfallenden Reststoffe generiert werden. Zum anderen müsste durch mehr Artenvielfalt die Anzahl an “Nutztieren” pro Fläche relativ gering sein, wodurch der wirtschaftliche Ertrag ebenfalls gering wäre.
Aber wie verringert man Tierhaltung und deren Konsum? Im Alltag gebe es viele Hindernisse, da viele Menschen sich aus Prinzip nicht bevormunden lassen, viele Traditionen mit dem Konsum von Tierprodukten verbunden sind, veganes Essen in Kantinen und Restaurants häufig sozial und logistisch unbequem ist und sich mit Tierprodukten viel Geld machen lässt.
Es gibt aber auch Punkte, die die Reduktion oder Abschaffung von Tierprodukten begünstige. Da Ernährung sozial und politisch geprägt sei, kann sich viel durch Werbung, günstiges und ansprechendes Angebot sowie andere Personen ändern. Beispielsweise hat Ikea eine pflanzliche Alternative zum Köttbullar in seinen Kantinen vergünstigt angeboten und konnte dadurch einen Absatz von 25% im Gegensatz zum Köttbullar aus Tier erzielen. Dieses Ergebnis sei im Vergleich zu 1% bei anderen pflanzlichen “Fleischalternativen” aus den Lebensmittelläden bemerkenswert und verdeutliche den Einfluss von mehr Präsenz im Alltag. Eine weitere Möglichkeit, die Transformation voranzutreiben, sei eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte durch z. B. die Einführung einer Nachhaltigkeitssteuer oder mehr pflanzliches Angebot in Kantinen. Laut Friederike Schmitz muss sich die Bevorteilung für tierische Produkte im Alltag umkehren, da die Menschen immer den einfacheren Weg wählen würden. Die Bereitschaft dazu ist laut Studien auf jeden Fall gegeben. Zudem muss es auch für Bauern eine gerechte und realistische Transformation hin zur Produktion von pflanzlichen Alternativen durch z. B. finanzielle Unterstützung oder weniger Bürokratie geben. Je normaler es wird, pflanzlich zu essen, desto leichter würde es auch für andere werden sich anzuschließen.
Was kann der Einzelne tun? Laut Friederike Schmitz kann der Diskurs geändert und der Druck auf die Öffentlichkeit durch Reden, Beiträge, Bündnisse oder Proteste erhöht werden. Außerdem könne man natürlich vegan leben, andere Personen davon begeistern, unterstützen sowie mithelfen alternative Wertschöpfungsketten aufzubauen.
All ihre Argumente hat Friederike Schmitz nicht nur mit logischen Schlussfolgerungen, sondern stets auch mit aktuellen Daten belegt. Sie verdeutlichte, dass “bewussteres” Konsumieren oder mehr “Tierwohl” und Klimaschutz nicht zielführend sei und nur ein politisch oder medial organisierter Ausstieg aus der Tierindustrie der effektivste Weg sei die notwendige Transformation herbeizuführen.
Der komplette Vortrag, inklusive anschließender Diskussion, kann auch bald über unseren Youtube-Account “Tierrechtsinitiative Osnabrück” nochmal angeschaut werden oder folgt Friederike Schmitz auf Instagram (“friederike_schmitz”). Viel Spaß!